Deutsche Einheit
Ein Blick in die Stasi-Akten: Der Fall Manfred Smolka
Rund 40 Jahre lang war Deutschland geteilt: in DDR und BRD. Laut Verfassung waren in der DDR alle Bürger gleich. Der Staat übernahm Großteile des Privateigentums und verstaatlichte die Wirtschaft. Es galt das Prinzip des Sozialismus nach dem Beispiel der Sowjetunion. Die SED, die einzig regierende Partei, kontrollierte alle Lebensbereiche, von der Ausbildung der Kleinkinder über die Freizeitgestaltung bis hin zur Arbeitsplatz- und Wohnungswahl. Wer sich der Partei in den Weg stellte, wurde von der Stasi überwacht und verfolgt. Heute – 30 Jahre später – werden die Stasiakten noch immer aufgearbeitet und viele Verbrechen derer erst aufgedeckt und das jetzt Bekannte ist wahrscheinlich erst die Spitze des Eisbergs, denn über 95 Prozent der größtenteils geschredderten Blätter liegen noch unangetastet in Lagern, wo sie auf die Aufarbeitung warten.
Doch meistens werden bei der Aufarbeitung der Stasi-Akten die Spitzel als Täter gesehen, obwohl diese meistens keine Schuld trifft, da sie zum Beispiel gezwungen wurden der Stasi Informationen zu geben oder weil sie mit jemandem plauderten, von dem sie nicht wussten, dass er von der Stasi war. Um die wirklichen Täter zu finden, muss man seinen Blick auf die Führung der SED - der führenden und einzigen Partei in der DDR – und auf die Spitze der Staatssicherheit werfen. Der Vorsitzende der SED war bis 1971 Walter Ulbrich und danach Erich Honecker. Sie waren die, die Entscheidungen trafen und mit dem Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, entschieden was populär werden durfte und was vertuscht werden muss. Ein weiterer in dieser Führungsspitze war Egon Krenz, der Sekretär für Sicherheitsfragen, der ab 1989 selbst die Nachfolge Erich Honeckers antrat. Sie leiteten das Geschehen in der DDR und sind für die meisten Verbrechen, die passierten, verantwortlich. Leider konnte ihnen aber nichts nachgewiesen werden, sodass sie nach dem Fall der DDR weiterhin auf freiem Fuße blieben. Um das ganze Ausmaß an den Verbrechen der DDR zu erkennen, muss man auch auf die Zahl der Opfer blicken. Es gibt viele Einrichtungen, die sich bis heute um Menschen kümmern, denen in der DDR Leid widerfahren ist. In einer dieser Einrichtungen lassen sich ca. 1350 Menschen jährlich beraten wie sie mit dem Passierten umgehen können. Viele starben jedoch auch durch die Entscheidungen der Stasi und der SED.
Ein Beispiel für die abscheulichen Verbrechen der Staatssicherheit, ist der Fall von Manfred Smolka. Smolka begann seine Karriere als Grenzpolizist im Jahr 1948. Ihm machte diese Tätigkeit Spaß, da er gerne in der Natur war und keinen Bürojob haben wollte. Obwohl er mit der Bürokratie seines Berufes nichts anfangen konnte, machte er schnell Karriere. 1955 stieg er zum stellvertretenden Politoffizier seiner Kompanie in Titschendorf auf. Mitglied in der SED war Smolka nur, weil dies von einem Grenzoffizier erwartet wurde. Deshalb geriet er auch öfters in Konflikt mit der Partei. Trotzdem gelang ihm der Aufstieg bis zum Oberleutnant in Zschachenmühle. Mit den Einwohnern des Ortes pflegte er einen freundlichen Umgang, was ihn später zum Verhängnis wurde. Am 17. Juni 1958, dem fünften Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR, wurde eine besonders intensive Überwachung an der DDR-Grenze angeordnet. Wegen dieser verschärften Sicherheitsvorschriften konnten die Bauern an diesem Tag ihre grenznahen Felder nicht bewirtschaften. Smolka ignorierte diese Anweisung und gestattete den Bauern, ihre Felder zu bestellen. Durch eine Kontrolle kam diese Nachlässigkeit ans Licht. Smolka wurde unterstellt, dass er statt seinem Beruf nachzugehen auf der Jagd gewesen sei. Aufgrund dieses Vorfalls wurde er zum Kompanieführer degradiert. Aus Stasi-Akten geht hervor, dass er mit dieser Anstellung nicht besonders glücklich war und diese Arbeit vernachlässigte. Im Umgang mit seinen ihm unterstellten Soldaten war er nicht immer ehrlich, auch wurden ein Teil seiner Soldaten benachteiligt, beziehungsweise bevorzugt. Smolka nahm auch nicht mehr an Parteiveranstaltungen teil. In den Unterlagen wird als Grund für seinen Ausschluss aus der Partei angegeben, dass seine gesellschaftliche Arbeit nicht der eines Mitgliedes der SED entspreche. Weil er dadurch Probleme hatte, eine neue Arbeit zu finden, entschloss er sich, die DDR zu verlassen und zwei Wochen nach seiner Entlassung überschritt er dann die Grenze zur BRD. Seine Frau und sein Kind wollte er erst später nachholen. Durch die Flucht geriet Smolka in das Fadenkreuz der Staatssicherheit, die seine Verhaftung plante.
Über den Hergang der nachfolgenden Ereignisse gibt es zwischen der Version, die in den Stasi-Akten steht und zum Beispiel dem Bericht seines ehemaligen Zellengenossen Klaus Schmude, starke Unterschiede. Die Stasi schreckte im Fall Smolka offensichtlich nicht davor zurück, ihre Akten so umzuschreiben, um ihm etwas anzuhängen. Dies war teilweise sogar Routine im Ministerium für Staatssicherheit. Das Einzige, was feststeht, ist, dass Manfred Smolka nach seiner Flucht routinemäßig von den westdeutschen Behörden und vom amerikanischen Geheimdienst befragt wurde. Wie er selbst immer wieder beteuerte, habe er dabei keine Dienstgeheimnisse verraten, was ihm als Hauptanklagepunkt in der späteren Verhandlung vorgeworfen wurde. Der Verrat der Dienstgeheimnisse wird auch in einem Gutachten thematisiert, welches für die Gerichtsverhandlung extra angefertigt wurde. In diesem wird erläutert, dass die deutsche Grenzpolizei, die damals die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik sichern sollte, folgende Aufgabe hatte: „Sie hat das Eindringen von Agenten, Spionen und Terroristen nicht zuzulassen, die Interessen unserer Arbeiter- und Bauern-Macht unmittelbar an der Grenze zu wahren und den sozialistischen Aufbau in der Deutschen Demokratischen Republik zu verteidigen.“ Auch glaubte man in der Stasi, dass das deutsche Militär im Auftrag der BRD-Regierung das Ziel verfolgte, den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu stören und dort mit Hilfe eingeschleuster Agenten, Spionen und Terroristen, Unruhe und Unsicherheit unter der Bevölkerung zu schaffen. So sollte die gewaltsame Eroberung der DDR vorbereitet werden. Die Sicherung der Grenze in dem Abschnitt, in welchem Manfred Smolka zuständig war, war ohnehin schon durch das waldige, bergige und unübersichtliche Gelände erschwert, wo in der Vergangenheit schon wiederholt angebliche Agenten in die Deutsche Demokratische Republik eingeschleust wurden. Über die tatsächlich stattgefundenen Einschleusungen war aus Sicht der Kommission, die das Gutachten erstellten, eine reale Einschätzung aufgrund des schwierigen Geländes nicht möglich. Diese Kommission schätzte die von Smolka angeblich gegebenen Informationen gegenüber dem amerikanischen Geheimdienst über die Bewaffnung und Ausrüstung der Einheiten der Grenzpolizei sowie über das System der Grenzsicherung so ein, dass sie für den Gegner geeignet wären, den Kampfwert und die Einsatzbereitschaft der Einheiten der Deutschen Grenzpolizei im Bereich Zschachenmühle einzuschätzen. In dem Gutachten wird auch beschrieben, dass die BRD und besonders die Amerikaner versuchten mit „aggressiven Handlungen“ die Regierung der DDR zu schwächen und zu zerstören. Smolka selbst soll genaue Angaben über die Marschrouten und Dienstzeiten der Grenzposten im Grenzabschnitt Titschendorf gemacht haben. Diese Informationen würden gereicht haben, um sich ins Funknetz der Grenzposten einzuklinken und diese zu verwirren, um Spione einzuschleusen. Sie kommen zu dem Schluss, „[…] dass es sich bei allen von Smolka gemachten Angaben um die Preisgabe wichtiger militärischer Geheimnisse handelt, deren Kenntnis durch den Gegner sich in jedem Falle nachteilig auf die Sicherung der Deutschen Demokratischen Republik auswirkt.“ Wichtiger war es ihm aber, so schnell wie möglich seine Frau und sein Kind zu sich in den Westen zu holen. Dabei baute er auf die Hilfe eines alten Bekannten von der Grenzpolizei, der Smolka glauben ließ, dass er auch die DDR verlassen wolle. Tatsächlich arbeitete der vermeintliche Freund aber mit der Staatssicherheit zusammen und bekam von dieser 1000DM für seinen Verrat. Smolka gab ihm den Hinweis, dass er einen besseren Start im Westen haben könnte, wenn er eine bei den ostdeutschen Truppen neu eingeführte Gasmaske mitbringen würde – eine Idee, die die Stasi später gegen den ehemaligen Grenzpolizisten verwendete.
Am 22. August 1959 wurde Smolka gemeinsam mit seiner Frau an der innerdeutschen Grenze verhaftet. Er wurde dabei angeschossen. Später beteuerte Smolka immer wieder, dass er westlich der Grenze festgenommen wurde. Der Durchführungsbericht spricht jedoch von einer Festnahme auf dem Staatsgebiet der DDR. Die Unterlagen der Stasi wurden hier wohl gefälscht. Beim Grenzübertritt lauerten ihn in den Büschen versteckte Spitzel der DDR-Staatssicherheit auf, die ohne Warnung das Feuer auf ihn eröffneten. Er brach auf westlichem Gebiet mit durchschossenem Oberschenkel zusammen.
Danach wurde er in die DDR entführt. Daraufhin überstellte die Stasi Smolka nach Berlin. Während der Haftzeit bereiteten Staatssicherheit und die SED den Prozess gegen Smolka vor. Dafür wurden mehrere Gutachten erstellt, die belegen sollten, was Smolka verraten, wie er der DDR angeblich geschadet und wie er mit dem US-Geheimdienst zusammengearbeitet habe. Seine Geständnisse verschaffte sich die Stasi, indem sie teilweise unmenschlichen Druck auf Smolka ausübte. Während seiner Haftzeit war er permanent Hunger, Durst und Einsamkeit ausgesetzt. Letztendlich ließen ihn die zermürbenden Verhörmethoden kapitulieren. Smolka unterschrieb schließlich alles, was die Stasi ihm vorlegte. Sein für den Prozess notwendiges Geständnis wurde geradezu erpresst. Währenddessen bereitete die Staatssicherheit den Prozess gegen Smolka weiter vor. Smolkas Pflichtverteidiger arbeitete mit der Staatssicherheit zusammen, wie aus einem Bericht hervorgeht. Er hatte also gar keine Chance sich verteidigen zu lassen. Oberstleutnant Neumann unterbreitete zudem dann noch den Vorschlag an Smolka ein Exempel zu statuieren und ihn zum Tode zu verurteilen. Die Todesstrafe wurde damals in der DDR noch mit der Guillotine vollstreckt. Auch Minister Mielke erklärte sich handschriftlich einverstanden. Dementsprechend wurde Smolka am 5. Mai 1960 vom Bezirksgericht Erfurt zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde mit der Guillotine in Leipzig vollstreckt. Smolkas letzte Worte vor Gericht geben einen Einblick in den Schauprozess gegen ihn. Die Gerichtsverhandlung diente nur der Vorbereitung eines politischen Mordes. Smolkas Tod sollte vor allem mögliche Nachahmer innerhalb der Grenzpolizei von einer Flucht in den Westen abschrecken. Aus diesem Grund waren während der Verhandlung Offiziere der Grenzpolizei anwesend.
Bis heute mussten sich nur der Staatsanwalt Paul Wieseler und Smolkas ehemaliger Kollege von der Grenzpolizei für ihr Handeln verantworten. Am 29. Januar 1990 ging die Familie Smolka mit dem Fall zwar an die Öffentlichkeit und stellte einen Antrag auf Rehabilitierung und Strafanzeige gegen Erich Honecker wegen gemeinschaftlicher Anstiftung zum Totschlag und Rechtsbeugung. Dieser durfte aber am 14. Januar 1993, wenige Stunden vor der Rehabilitation des Ehepaars Smolka, nach Chile ausreisen, wo er bis zu seinem Tod blieb. Der Fall wurde unter anderem in dem Film „Streng geheim: die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR“ des MDR behandelt, geriet aber immer mehr in Vergessenheit, da er nur einer unter sehr vielen ist, die in der DDR derart vorgeführt und zu Unrecht verurteilt wurden. Auch, dass in der DDR noch lange mit der Guillotine hingerichtet wurde, ist leider vielen nicht bewusst. Vielleicht wird auch deshalb, wenn an die „dunkle Vergangenheit“ Deutschlands gedacht wird, die DDR fast komplett vernachlässigt, was unserer Meinung nach komplett falsch ist, da sie und die SED von manchen Teilen der Bevölkerung noch heute verherrlicht werden.
Quellen:
• Alle Stasi Akten zum Fall Michael Smolka in: (https://www.stasi-mediathek.de/
suchergebnis/ )
• Ralf Dargent: „Der DDR-Henker köpfte die Opfer im Kinderzimmer“ in: (https://
www.welt.de/vermischtes/article121127723/Der-DDR-Henker-koepfte-die-Opfer-im-
Kinderzimmer.html)
• dpa: „Von 16 000 Stasi-Säcken sind erst 520 erschlossen“ in: (https://www.lr-online.de/
nachrichten/politik/muehsame-aufarbeitung-von-16-000-stasi-saecken-sind-erst-520-
erschlossen-42232281.html)
• Wiebke Ziegler: „Leben in der DDR“ in: (https://www.planet-wissen.de/geschichte/ddr/
das_leben_in_der_ddr/index.html)
• Gieseke,Jens: „Stasi-Täter“ in: (https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/
stasi/219122/auftraggeber-sed)
• kein Autor: „Verfolgung durch Stasi: Wer war Opfer,wer Täter?“: (https://
www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/zerbst/952159_Verfolgung-durch-Stasi-Werwar-
Opfer-wer-Taeter.html)
• kein Autor: „Stasi:das Leben von Tätern und Opfern-B.Z.Berlin“: (https://www.bzberlin.
de/artikel-archiv/stasi-das-leben-von-taetern-und-opfern)
• Julius Betschka:( https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-08/kai-niemannostdeutscher-
saenger-ost-hymne-landtagswahlen-sachsen-afd)
• Silke Rüdiger:( https://www.dw.com/de/sehnsucht-nach-der-guten-alten-zeit/
a-18037690)
• Soziologieprofessor Klaus Schroeder (Uni Berlin):( https://www.dw.com/de/sehnsuchtnach-
der-guten-alten-zeit/a-18037690)
• DW Deutsch: (https://www.youtube.com/watch?v=l9AMxO8gZSg)
• Kein Autor: „Ostalgie - die Sehnsucht nach dem einst verpönten“ https://www.dw.com/
de/ostalgie-die-sehnsucht-nach-dem-einst-verp%C3%B6nten/a-17926192
• https://de.wikipedia.org/wiki/Ostalgie
• Christiane Habermalz: „Verehrung bis in den letzten Winkel der Gesellschaft“: https://
www.deutschlandfunk.de/stalin-kult-in-der-ddr-verehrung-bis-in-den-letztenwinkel.
691.de.html?dram:article_id=409344